Referenten: Prof.
K. Mattern, Fachhochschule Konstanz
Risto
Airaksinen, Fachhochschule Rovaniemi
Zeit: Sommer 1996
Für ein typisch finnisches
Einfamilienhaus in Holzbauweise soll ein umfassender Wärmeschutznachweis nach
den ab 1.1.95 in Deutschland geltenden Richtlinien geführt werden. Neben den formalen
Berechnungsnachweisen nach dem Bauteil- und dem Wärmebilanzverfahren wird eine
Aussage über die Luftdichtigkeit, den Einfluss der Wärmespeicherfähigkeit auf
den Jahres-Heizwärmebedarf, das sommerliche Wärmeverhalten und den Wärmeschutz
der Innenbauteile erwartet. Dabei sollen typische Einzelbauteilausbildungen
hinsichtlich Aufbau, konstruktiver Gestaltung und Materialwahl betrachtet, zeichnerisch im Detail dargestellt,
kommentiert und wenn möglich durch Fotos dokumentiert werden. Objektvorhandene
Wärmebrücken sind detailliert zu erfassen und zu untersuchen. Des weiteren sollte für das Objekt ein Wärme- bzw.
Wärmebedarfsausweis erstellt werden. Eine abschliessende,
zusammenfassende, kommentierende Beurteilung sollte, wenn vorhanden, auf die
konzeptionellen energetischen Vorteile und die thermischen Behaglichkeitswerte
eingehen.
Kaum eine Entscheidung in meinem
Leben kam so schnell wie das „Ja“ zu dieser Diplomarbeit. Die Studie an einem
Niedrigenergiehaus in Finnland war gewissermassen
mein Traumthema.
Die volle Tragweite meines
Vorhabens wurde mir allerdings erst während der 3000 km langen Anreise mit dem
Auto nach Rovaniemi am Polarkreis bewusst. Denn ich war auf dem Weg in ein
Land, dessen Sprache ich nicht verstand. Ausserdem
war ich der erste Student aus Deutschland am „Rovaniemen
Teknillinen Oppilaitos“. Zu
guter Letzt hatte mir bisher eigentlich niemand etwas Genaueres über das
Projekt sagen können, das mich dort im Norden Finnlands erwartete.
So waren denn auch die ersten
Wochen dem Kampf mit den finnischen Plänen und der Jagd nach den Rechenwerten
der verwendeten finnischen Materialien gewidmet.
Doch nicht nur die kleinen
Unbilden des finnischsprachigen Alltages, sondern auch die Eigenheiten des
nördlichen Klimas boten den Nährboden für viele Fragen und Gespräche. Denn als
Mensch aus dem – von Rovaniemi aus betrachtet – tiefen Süden muss man erst
einmal verkraften, dass es ab Anfang Mai nachts einfach nicht mehr dunkel wird,
dass die Flüsse und Seen eben bis Anfang Juni gefroren sind und dass vor Mitte
Juni kein grünes Blatt an den Bäumen erwartet werden kann. Wer weiss ausserdem schon, dass das
finnische Nationalgetränk Koskenkorva am liebsten
unter dem Namen Kossu getrunken wird, oder wo in
Rovaniemi die gemütlichste Kneipe ist, das beste Konzert in Finnland
stattfindet, und, und, und .......
Bei dem untersuchten
finnischen Niedrigenergie-Holz-Haus handelt es sich um ein Einfamilienhaus in
Holzständerbauweise. Die versetzt angeordnete Doppelständerwand wird mit einem
Dämmstoff aus borsalzhaltiger Zellulosefaser
ausgesprüht, der eine Wärmeleitfähigkeit von 0.040 W/mK besitzt.
Als Wohngebäude mit einem
Vollgeschoss und dem ausgebauten Dachgeschoss darf der Wärmeschutznachweis
sowohl nach dem vereinfachten Verfahren als auch nach dem Jahresbilanzverfahren
durchgeführt werden. Der vereinfachte Nachweis, der die Wärmedurchgangskoeffizeinten
der Aussenbauteile begrenzt, wird erbracht. Der
Nachweis nach dem Jahresbilanzverfahren, das den Jahresheizwärmebedarf
beschränkt, wird ebenfalls erbracht. Mit einem Jahresheizwärmebedarf von vorhQ’H = 17.59 kwh/m3a
wird der erforderliche Wert von zulQ’H =
28.20 kwh/m3a deutlich unterschritten.
Allerdings beschreibt dieser
formale Nachweis des Wärmeschutzes das thermische Verhalten eines Gebäudes nur
unzureichend. Dichtigkeitsmessungen ergaben, das Gebäude in der ausgeführten
Bauweise bei sorgfältiger Ausführung eine sehr dichte Gebäudehülle aufweisen.
Die Aussen-
und Innenbauteile sind in leichter Holzbauweise aufgeführt, so dass diese nur
eine geringe Wärmespeicherfähigkeit aufbringen. Unter den meteorologischen
Daten Deutschlands ist bei wohnähnlicher Nutzung der Einfluss der
Wärmespeicherfähigkeit von Bauteilen auf den Jahresheizwärmebedarf von
praktisch vernachlässigbarer Bedeutung. Durch den Einsatz einer Lüftungsanlage
ist ein gutes sommerliches Wärmeverhalten gewährleistet. Die Innenbauteile
besitzen eine ausgezeichnete Wärmedämmung, so dass keine nennenswerten,
ungewollten Wärmeabflüsse innerhalb des Gebäudes zu erwarten sind.
Durch die sehr kompakte Konzeption
des Gebäudes, die konsequente Verwendung des Baustoffes Holz, das Fehlen von Rolladenkästen, Heizkörpernischen und Unterkellerung wurden
jegliche geometrischen oder materialbedingten
Wärmebrücken vermieden.
Weil im Norden Finnlands Kälte mit
ganztägiger Dunkelheit einhergeht, entfallen die Fenster als Hilfsmittel zur
Nutzung von solaren Wärmegewinnen. Daher wird ihre Fläche auf das notwendige Mass beschränkt.
Wärmedämmtechnische Ausführung der
Aussenbauteile, Materialwahl der Innenverkleidung,
Gebäudedichtigkeit und Heizungssystem lassen eine ausgezeichnete thermische
Behaglichkeit erwarten. Die verwendeten Bauteile genügen den Anforderungen an
den Feuchteschutz der DIN 4108.
Mit einem nutzungsflächenbezogenen
Jahresheizwärmebedarf von Q’’H = 55.0 kwh/m2a
handelt es sich um ein typisches Niedrigenergiehaus. Die vorhandenen
Wärmedurchgangskoeffizienten der Bauteile stellen einen teilweise überdurchschnittlichen
Niedrigenergiehausstandard dar.
Die Konzeption dieses Gebäudes ist
ein lebendiger Entwurf – lebendig, weil er etwas Gewachsenes darstellt.
Gewachsen nämlich unter den klimatischen Umständen dieser Region. Durch die
riesigen Wälder Finnlands ist Holz als Rohstoff nahezu unerschöpflich und
kostengünstig verfügbar. Daher basiert die Konzeption auf der Verwendung von
Holz als massgeblichem Baustoff.
Der Sommer ist im Norden des
Landes auf nur wenige Monate beschränkt. Diese Zeit muss genügen, um zumindest
die Gebäudehülle zu erstellen. Aus diesem Grund wird eine Holzständerwand
eingesetzt, die aus vorgefertigten Elementen besteht und innerhalb kurzer Zeit
errichtet werden kann. Die Winter sind lang und kalt. Dadurch wird ein Gebäude
zu mehr als einem reinen Dach über dem Kopf. Es ist ein Lebensraum an sich, es
ist eine Art Klimainsel in einem harten, lebensfeindlichen Klima. Deswegen ist
die Gebäudehülle das Entscheidende. Sie schützt das Gebäudeinnere. Das
Gebäudeinnere ist der Lebensraum, der Sicherheit bietet. Dieses Gefühl der
Sicherheit wird durch die Überschaubarkeit des Gebäudeinneren gefördert.
Wohnzimmer und Küche sind grosse, offene Räume und
gehen ineinander über. Alle umliegenden Räume werden zentral von hier bedient.
Als Eigenschaft des Baustoffes Holz müssen allerdings sein Knarren und eine
gewisse Hellhörigkeit des Gebäudes in Kauf genommen werden. Das betrachtete
finnische Wohngebäude ist ein intelligenter und lebendiger Entwurf, der
Funktionalität mit Behaglichkeit verbindet.
Der finnlandkundige
Leser vermisst natürlich den Hinweis auf etwas Wesentliches: Die Sauna – denn
sie ist die eigentliche Seele des Gebäudes. Hiervon hat sich der Autor
überzeugen lassen.